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Poetry Slam von Anja Schlumberger

Der Unterschied zwischen Wissen und Fühlen

oder

Wer seine Gefühle kontrollieren kann, hat keine!

 

Eine Seifenblase schimmert bunt, in Farben, die an psychedelische Kunst erinnern.

Von innen sieht sie bestimmt auch so aus.

Würde man drinnen sitzen, gäbe es nur bunt, Schillern, die Farben fließen immer wieder anders ineinander. Kein grau. Nur bunt.

Oft bin ich genau dort. Und die Seifenblasenwand projiziert ihre Farben raus ins Universum, alles ist bunt und schillernd.

Dort bin ich am liebsten, da ist alles so stimmig, das Leben macht Spaß, ich fühle mich gut, ich bin glücklich.

Aber hin und wieder fühle ich die Zerbrechlichkeit meiner Seifenblase, dann bekomme ich auf einmal panische Angst, dass meine Seifenblase jeden Moment zerplatzen könnte und ich fühle, dass da draußen alles schwarz und kalt sein wird.

Heute ist jedenfalls ein super Tag, ich bretzle mich ein bisschen auf und gehe live-Musik hören, und ich freu mich, dann es wird voll und die Band hört sich auf YouTube super an. Finde mein Outfit gelungen. Bin super drauf, schwätze jeden an, flirte, mache Witze und bekomme gleiches zurück, alles passt. Dieser Abend wird toll, ich spüre es, so viele Menschen, die ich gern habe und mit denen ich noch reden werde, flirten, Spaß haben, mich gut fühlen, das Leben ist herrlich und so soll es immer bleiben.

Und dann passiert es!

Nichts Besonderes, Nichts, was nicht schon duzendmal vorher passiert wäre.

Ein freudig erwarteter Blickkontakt mit einem Lächeln zu Begrüßung wurde nicht erwidert.

Normalerweise ist das für mich in der Seifenblase nicht schlimm. Dort sitze ich nämlich auf einem hohen Stuhl und kann über alles hinwegsehen. Dann bin ich sehr, sehr weise. Ich erkenne sofort, dass es nicht böse gemeint war, dass man vielleicht grad selber nicht so gut drauf ist oder möglicherweise sogar unsicher oder gar schüchtern? Lauter liebenswerte Eigenschaften und rein gar nichts, weswegen ich mich schlecht fühlen müsste.

 

Aber heute Abend ist das anders, und ich fühle plötzlich meiner Seifenblase mit all ihren Farben verblassen.

Und mir tun sich ganz andere Erkenntnisse auf.

Was bildest Du Dir eigentlich ein, daß Du begrüßt oder sogar angelächelt werden möchtest?

Anja, Du bist nicht so toll, wie Du denkst.

Und Du gehörst doch auch gar nicht hier her.

Ich fühle mich auf einmal wie ein Fremdkörper, ohne den hier alles viel stimmiger wäre.

Mittlerweile sind wieder drei Personen auf mich zugekommen, haben mich begrüßt und angelächelt. Herzlichkeit um mich herum, die MIR gilt. Aber das ist jetzt bereits alles umsonst, denn ich kann es nicht mehr fühlen, es erreicht mich nicht mehr.

Nur noch diese dunklen Gedanken sind in mir.

In meinem Inneren schlägt krachend eine Türe auf und Schneeflocken stoben herein.

Ich ahne, was jetzt kommt.

Der Schneesturm zieht mich durch die Türe nach draußen, ich verliere meine Kleider, versuche noch, mich irgendwo fest zu halten. Keine Chance.

Ich sitze nackt da draußen in dem eiskalten Sturm, die Schneeflocken sind in Wirklichkeit kleine Eisklumpen, sie tun mir weh auf meiner Haut.

Ich sitze zusammengekauert und wenn’s gut läuft weiß noch, dass es irgendwo warm und bunt ist.

Wehe dem Tag, wo ich genau das vergessen hab. Wenn das Fühlen derart dominant ist, dass die schwache Stimme des Wissens in meinem Körper untergeht. Wenn ich dann überzeugt davon bin, dass es noch nie besser war und ergo auch nie besser sein kann. Wie denn auch?

An einer Bushaltestelle zu warten, wenn man überzeugt ist, dass kein Bus mehr fahren wird, ist auch sinnlos. Das macht keiner. Irgendwann läuft man halt zu Fuß los, Hauptsache, es geht was.

Aber diesmal kann ich mich noch erinnern, also Aussitzen und Warten.

Nach außen hin Haltung zu bewahren ist ganz und gar unmöglich.

Meine Gesichtszüge fühlen sich komplett entglitten an. Und sind es wohl auch, denn schon höre ich die Frage: „Wie siehst Du denn aus“?

Zum Glück kann ich inzwischen offen zugeben, dass ich gerade einen Stimmungseinbruch erleide, das war früher anders, als ich noch nicht wusste, was da mit mir passiert.

Damals hab ich diesen inneren Schmerz mit Alkohol betäubt. Das musste ich früher ziemlich oft tun.

Auch war ich sehr ängstlich, ich hatte Angst vor anderen Menschen, soziale Phobie nennt man das. Hatte ich mich dafür entschieden, etwas zum Gespräch beizutragen, war, als ich dann anfing zu sprechen, mein Puls jenseits von Gut und Böse, meine Hände schwitzig und meine Stimme zitternd und oft hab ich dann auch gestottert.

Als ich im Teenageralter anfing, mit Klassenkameraden auf Partys oder in die Disco zu gehen, hatten alle immer einen Heidenspaß. Ich saß immer nur da und hab weder gelacht, noch gefeiert noch irgendwas gesagt. Ich war den ganzen Abend stumm. Das war doof, denn ich wollte das Gleiche, was die anderen haben und ich spürte ja, dass ich für die Gruppe unnütz und sogar hinderlich war, denn wer will schon so eine Spaßbremse dabeihaben.

Auch und gerade hier erwies sich der Alkohol aus sehr hilfreich.

Sogar wenn ich dann alleine unterwegs oder auch zu Hause war und mich irgendwie unwohl fühlte ob schlechter Gefühle, die mich halt hin und wieder überfallen, war auch hier der Alkohol eine bewährte Medizin.

Ich glaube, ich hab rund 10 Jahre durchgesoffen. Glücklich machte mich das nicht.

Ich frag mich bis heute, wie ich es geschafft habe, tagtäglich in die Arbeit zu gehen und dort nicht rausgeschmissen zu werden. Vielleicht war das dem Umstand geschuldet, dass draußen auf Montage in der Fernzone, und mit lauter männlichen Kollegen, der Alkoholkonsum sowieso recht hoch ist und ich deshalb kaum auffiel.

Bin gottfroh und dankbar, dass ich in der Zeit niemanden über den Haufen gefahren habe.

Und heute geht es ohne Weil’s besser für mich ist.

Gekauft wird nichts und bestellt wird auch nichts und angenommen wird auch nichts.

Aber wenn irgendwo was rumsteht, was keiner vermissen würde, dann merke ich, wie ich innerlich nervös werde und ich höre es rufen und es verspricht mir, die Spannung aus meinem Körper zu nehmen und ich dann endlich mal wieder loslassen kann.

 

Derjenige, der mich fragte, „wie siehst Du denn aus“ ist jemand, um den ich oft einen Bogen mache, weil ich mit seiner Art und seinem Humor selten was anzufangen weiß. An diesem Abend ist er mein Held in der goldenen Rüstung. Seine einfachen Witze werden mir in den nächsten Stunden aus meinem Loch heraushelfen, denn er versteht es, alles so aussehen zu lassen, als sei überhaupt nichts los, als sei alles ganz normal.

Nun, vielleicht ist es das ja auch und ich mache nur einen riesen Hype um etwas, was gar nichts Besonderes ist. Vielleicht geht es allen Leuten so, nur die lassen es sich nicht anmerken.

 

Mein Sohn fragte mich erst, ob ich glaube, dass ein Mensch Superkräfte entwickeln könnte.

Er dachte natürlich an was Cooles wie den Griff in die Steckdose, durch den was auch immer Aktiviert wird.

Ich brauchte nicht lange zu überlegen. Klar! Aber nur dann, wenn im Körper was nicht so läuft, wie es soll. Wenn z. B. von einem Botenstoff immer viel zu viel da ist. Dann fühlt man sich wie ein Superheld. Man kennt die Lösung für alle Probleme der Welt. Keine Arbeit ist zu mühsam, kein Arbeitstag zu lang. Arbeit gibt es überhaupt nicht mehr, alles ist Körperliche Ertüchtigung mit hohem Spaßfaktor. Sobald ein Problem auftaucht, fällt Dir die Lösung dazu ein.

Wenn man morgens aufwacht und die Welt retten möchte, abends dann immerhin zwei Zimmer komplett umgeräumt hat, mit Schränke ausräumen, ausmisten, Staub wichen, das Stockbett auf Wunsch der Kinder in zwei einzelne zerlegt, Bilder umgehängt, Fenster geputzt, Vorhänge gewaschen … und dann eben abends zufrieden dasteht, mit dem Gefühl, was tolles geleistet zu haben, ja dann ist man ein Superheld, zumindest in den Augen der Kinder, die dieses Zimmer bewohnen und die jetzt die nächsten Wochen nicht mehr aufräumen müssen, weil die Mama mal wieder alles auf einmal gemacht hat.

Allerdings fangen manche Menschen, wenn man so energiegeladen und missioniererisch unterwegs ist auch an zu nerven. Durch meine selbstgefühlte Überlegenheit kommen mir manche wie Vollidioten vor. Wie kann man sich auch nur so blöd anstellen?

Ich bin sofort zur Stelle und zeige, wie es besser und schneller geht. Nur leider geht dadurch der Spaßfaktor der anderen flöten. Kommt nicht immer so gut an, manchmal aber doch.

 

In Breaking Bad wurde Jessie Pinkman gefragt, wie fühlt es sich an?

Er antwortete: Alles ist super interessant und man kommt sich vor, wie in einem Actionfilm.

Ja, das trifft es ziemlich gut.

Manchmal produziert ein Körper von alleine zu viel Dopamin, dann braucht man kein Meth und Nebenwirkungen gibt es nicht. Klingt toll.

Aber leider funktioniert die Störung in beide Richtungen. Dann gibt es eben nicht nur nicht zuviel sondern auf einmal viel zu wenig. Dann Zerplatzt die Seifenblase, dann wird die innere Türe aufgerissen wir und der Schneesturm braust herein. Dann bezahlt man für die guten Zeiten.

 

Lange nach Mitternacht habe ich meine Talfahrt beendet und bin schon fast wieder auf Normallevel.

Sitze inmitten lieber Menschen, die mich trotz meiner entglittenen Gesichtszüge geschnappt haben und einen Stuhl in ihrer Mitte freigemacht und mich dort hingesetzt haben. Und die so tun, als sei nichts.

Und dann passiert es doch noch: Der Blick in die Augen und das Lächeln.

Genauso, wie es mich vorher runterriss, als es gefehlt hat, gibt es mir jetzt den letzten Schubs nach oben.

Ich kann mich gerade noch dunkel erinnern, dass der Abend nicht so toll war, aber ich kann es schon nicht mehr fühlen und da das Wissen gegen das Fühlen keine Chance hat, ist es auch gar nicht mehr wichtig.

 

© Anja Schlumberger

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