„Kann ich wegen der Erkrankung Erwerbsminderungsrente beantragen?“*
Bipolare Störungen gehören laut der Weltgesundheitsorganisation WHO zu den schweren psychische Erkrankungen. Sollte Ihre Lebensführung durch die immer wieder auftretenden Krankheitsepisoden stark beeinträchtigt sein und Ihre Situation am Arbeitsplatz durch die Erkrankung unerträglich werden, können Sie eine Erwerbsminderungsrente in Betracht ziehen. Das Wegfallen der Sorge um die täglichen Brötchen kann wesentlich zu einem stressfreieren Alltag beitragen – wie wir wissen, ist Stress einer der stärksten Auslöser für neue Erkrankungsphasen.
Die Erwerbsminderungsrente (EM-Rente) ist eine finanzielle Unterstützung für Personen, die aufgrund von Krankheit oder Behinderung nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr arbeiten können. Im Folgenden werden die Voraussetzungen, der Ablauf und wichtige Hinweise (ohne juristische Gewähr) für die Beantragung der Erwerbsminderungsrente erläutert.
Voraussetzungen für den Antrag auf Erwerbsminderungsrente
Medizinische Voraussetzungen
- Teilweise Erwerbsminderung: Sie können weniger als 6 Stunden täglich in Ihrem Beruf oder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten.
- Volle Erwerbsminderung: Sie sind in der Lage, nur noch weniger als 3 Stunden täglich zu arbeiten, unabhängig von der Art der Tätigkeit.
- Gesundheitszustand: Es muss nachgewiesen werden, dass eine Krankheit oder Behinderung vorliegt, die eine dauerhafte Einschränkung der Erwerbsfähigkeit zur Folge hat. Dieser Nachweis wird durch ärztliche Gutachten und medizinische Berichte erbracht.
Versicherungsrechtliche Voraussetzungen
- Wartezeit: Sie müssen mindestens 5 Jahre in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert gewesen sein (allgemeine Wartezeit).
- Beitragszahlungen: Mindestens 36 Monate an Pflichtbeiträgen in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung müssen nachgewiesen werden. Diese Zeiten können auch durch versicherungspflichtige Tätigkeiten, Arbeitslosengeld I oder Kindererziehungszeiten erfüllt sein.
- Vorzeitige Wartezeit: Bei Unfällen kann unter bestimmten Umständen auch eine vorzeitige Wartezeit erfüllt sein, wenn durch den Unfall eine plötzliche Erwerbsminderung eintritt.
Antragstellung:
Wo kann der Antrag gestellt werden?
- Rentenversicherung: Der Antrag wird bei der Deutschen Rentenversicherung gestellt. Dies kann online, per Post oder persönlich in einer Beratungsstelle erfolgen.
- Beratungsstellen: Sie können sich auch von Beratungsstellen, wie der Versichertenältesten, Sozialverbänden (z. B. VdK, Sozialverband Deutschland), Gewerkschaften oder kommunalen Versorgungsämtern, unterstützen lassen.
- Agentur für Arbeit: In manchen Fällen, insbesondere wenn Arbeitslosigkeit vorliegt, kann die Arbeitsagentur bei der Antragstellung behilflich sein.
Wie stellen Sie den Antrag?
- Formulare: Die benötigten Antragsformulare erhalten Sie bei der Deutschen Rentenversicherung oder auf deren Website. Diese müssen vollständig ausgefüllt und unterschrieben werden.
- Unterlagen: Dem Antrag sind medizinische Unterlagen, wie ärztliche Atteste, Krankenhausberichte oder Reha-Abschlussberichte, beizufügen. Wichtig dabei ist, dass die ärztlichen Stellungnahmen nicht nur die Diagnose und aktuelle Therapie beinhalten, sondern auch möglichst ausführlich auf die Einschränkungen im Alltag und in Bezug auf Arbeit eingehen. Hilfreich ist es dafür, mit dem Arzt/der Ärztin gemeinsam darüber zu sprechen und die ärztliche Stellungnahme durch eine eigene Aufstellung des Krankheitsverlaufs und der Therapieversuche zu ergänzen.
- Fristen: Bei einem Antrag auf Erwerbsminderungsrente gibt es keine festen Fristen. Allerdings wird die Rente frühestens ab dem Monat gezahlt, in dem der Antrag eingegangen ist.
Ablauf des Antragsverfahrens
Antragsstellung: Nachdem Sie den Antrag bei der Rentenversicherung eingereicht haben, erfolgt eine Prüfung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen.
Medizinische Begutachtung: Die Rentenversicherung beauftragt Gutachter, um Ihren gesundheitlichen Zustand zu bewerten. Dabei können folgende Schritte auf Sie zukommen:
- Ärztliches Gutachten: Ein von der Rentenversicherung beauftragter Arzt prüft anhand der eingereichten Unterlagen und ggf. einer Untersuchung Ihren Gesundheitszustand.
- Ergänzende Untersuchungen: Bei Unklarheiten kann die Rentenversicherung weitere medizinische Untersuchungen anordnen.
- Arbeitsbelastungserprobung: In manchen Fällen wird eine Belastungserprobung durchgeführt, um festzustellen, wie lange und unter welchen Bedingungen Sie noch arbeiten können.
Rentenentscheidung: Die Rentenversicherung entscheidet auf Grundlage der Gutachten und Ihres Versicherungsverlaufs, ob Ihnen eine volle, teilweise oder keine Erwerbsminderungsrente bewilligt wird. Die Entscheidung wird Ihnen schriftlich mitgeteilt.
Zahlung der Rente: Bei Bewilligung der Rente erfolgt die Zahlung rückwirkend ab dem Monat, in dem der Antrag gestellt wurde.
Wichtige Tipps & Hinweise
- Gutachten ernst nehmen: Die medizinische Begutachtung ist ein entscheidender Teil des Verfahrens. Bereiten Sie sich gut darauf vor und bringen Sie alle relevanten ärztlichen Unterlagen mit. Lassen Sie sich bei Bedarf auch von einer Person Ihres Vertrauens dazu begleiten. Nehmen Sie eine Übersicht über Ihren Krankheitsverlauf und die Therapieversuche mit und sprechen Sie während der Begutachtung über die Einschränkungen durch die Erkrankung im Alltag und in Bezug auf die Arbeit.
- Reha vor Rente: Die Rentenversicherung verfolgt das Prinzip „Rehabilitation vor Rente“. In vielen Fällen wird vor der Bewilligung der Rente geprüft, ob eine berufliche oder medizinische Rehabilitation die Erwerbsfähigkeit wiederherstellen kann. Wenn Sie also zu einer Reha-Maßnahme aufgefordert werden, müssen Sie daran teilnehmen.
- Widerspruchsrecht: Sollte der Antrag abgelehnt werden, besteht die Möglichkeit, innerhalb eines Monats Widerspruch einzulegen. Anschließend können Sie auch eine Klage vor dem Sozialgericht erheben. Dabei können Ihnen auch die Sozialverbände behilflich sein.
- Befristung: Die Erwerbsminderungsrente wird in der Regel zunächst befristet bewilligt (meist für 3 Jahre). Eine Verlängerung ist möglich, wenn sich Ihr Gesundheitszustand nicht verbessert. Nach mehreren Verlängerungen wird die Erwerbsminderungsrente in der Regel unbefristet gewährt. Sie kann aber auch bei entsprechender Schwere der Erkrankung und ohne Aussicht auf zukünftige Besserung sofort unbefristet bewilligt werden.
- Beratungsstellen: Es ist ratsam, sich vor und während des Verfahrens beraten zu lassen. Sozialverbände wie beispielsweise der VdK, der SoVD oder auch die Deutsche Rentenversicherung selbst bieten wertvolle Unterstützung.
Was passiert nach der Bewilligung?
- Regelmäßige Überprüfungen: Bei einer befristeten Rente wird Ihr Gesundheitszustand regelmäßig überprüft, um festzustellen, ob weiterhin Anspruch auf die Rente besteht.
- Weiterarbeit trotz Rente: Bei teilweiser Erwerbsminderungsrente können Sie in begrenztem Umfang weiterarbeiten. Allerdings dürfen nur unter 3 Stunden täglich bei voller Erwerbsminderung bzw. unter 6 Stunden täglich bei teilweiser Erwerbsminderung und bestimmte Hinzuverdienstgrenzen dürfen nicht überschritten werden. Seit 2024 darf man bis zu 6 Monate lang testen, ob ein Wiedereinstieg möglich ist, ohne, dass es zu Kürzungen der Erwerbsmindrungsrente kommt.
Der Weg zur Erwerbsminderungsrente ist oft anspruchsvoll und mit einigen Hürden verbunden. Es ist wichtig, alle Voraussetzungen zu kennen und die notwendigen Unterlagen sorgfältig vorzubereiten. Wer im Vorfeld gründlich recherchiert und sich umfassend beraten lässt, erhöht die Chancen auf eine erfolgreiche Antragstellung.
Das Problem in Bezug auf speziell die Bipolaren Störungen ist jedoch, dass es sich um einen phasenhaften Verlauf handelt. Man ist also nicht dauerhaft in einer Krankheitsphase. Die Gutachter*innen kennen sich damit oft nicht so gut aus, daher ist es wichtig gleich bei Antragstellung darzulegen, dass sie die Erkrankung auch in den krisenfreien Zeiten stark auf den Alltag und die Arbeit auswirkt und diesen einschränkt.
Die Deutsche Rentenversicherung hat zur Erwerbsminderungsrente eine ausführliche Broschüre bereitgestellt.
Den Antrag zu stellen, stellt für viele Betroffene eine enorme Herausfordrung dar, da nicht selten im Verlauf des Verfahrens das Rentenzeitkonto geprüft werden sollte, damit alle Zeiten korrekt erfasst und die Rente folglich korrekt berechnet werden kann. Der Antrag an sich ist recht umfangreich. Lassen Sie sich beim Ausfüllen von Vertrauenspersonen oder den Beratungsstellen unterstützen. Sind Sie gerade in einer Klinik kann auch der Sozialdienst dabei behilflich sein. In manchen Regionen gibt es auch die Psychiatrische Häusliche Krankenpflege (PhKp - ehemals Ambulante Psychiatrische Krankenpflege - APP) oder auch die MItarbeitenden im Ambulant Betreuten Wohnen können dabei behilflich sein, sich durch den Antragsdschungel zu kämpfen. Geben Sie nicht auf – es kann sich sehr lohnen und Ihnen hin zu einer wenigstens schon mal finanziellen Stabilität verhelfen.
Bedenken Sie aber auch, dass sich viele Menschen über ihre Arbeit definieren und sich wegen ihrer Teilhabe am Berufsleben als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft empfinden. Der Verlust dieser Teilhabe ist oft nicht einfach zu verkraften und kann zunächst eine neue Belastung darstellen. Damit Ihr Selbstwertgefühl nicht leidet, ist es wichtig, sich neue Tagesstrukturen zu schaffen und dem Leben einen neuen Inhalt zu geben. Mit einer ehrenamtlichen Tätigkeit zum Beispiel helfen Sie anderen und sich selbst, ohne dem täglichen Druck einer Erwerbstätigkeit ausgeliefert zu sein. Oft lässt sich hier etwas entsprechend der persönlichen Interessen und Fähigkeiten finden.
* Hinweis: Diese Angaben beziehen sich nur auf Deutschland. In Österreich und der Schweiz gelten möglicherweise andere Bestimmungen.
Stand 09/24, NS